Arthur Schnitzler an Clara Katharina Pollaczek, 8. Mai 1926

»Antonio Delfino«, 8. Mai 1926.

Mittag.

(nach Wien)

Mein Liebes, in Lissabon vorgestern erhielt ich Deine Karte – und
es war zugleich die einzige Nachricht, die uns aufs Schiff ge¬
bracht wurde, so dass ich seit 19. v. M. aus Wien überhaupt
nichts weiss (und von Dir nach dieser Karte auch nicht eben viel).
Die Karte vom Schiff, die in Lissabon aufgegeben wurde, mit dem Por¬
trät des Dampfers, ging ans Land, eh Deine kam. Wir sind also am
Montag Nachmittag in Las Palmas an Bord gegangen und bis heute
war das Meer völlig glatt; eben erst meldet sich der Golf von Bis¬
caya gelinde an. Das Schiff ist wundervoll; zuerst waren wir im
Raum etwas beschränkt; da wir uns, Lili und ich mit einer allerdings
bequemen Kajüte behelfen musste; – seit gestern haben wir die Neben
kajüte dazu bekommen, so dass wir wie zuhause sind. Man lebt wie in
einem Luxushotel, nur unbeschränkter und mit besserer Bedienung.
Ein paar wenige Leute haben wir kennen gelernt
meist Deutsche, die in Brasilien oder Argentinien leben und nun auf
Urlaub in die Heimat kommen: so ein Legationsrat von Freytag (Neffe
der »Deutschen Vergangenheit«), – einen Beamten von Siemens – Schuckert, –
Wiener und nun seit 16 Jahren in Brasilien, u. andere mehr. Der Kapitän
Sachse, an dessen Tisch wir sitzen, Sorte; gutmüthiger Menschenfres-
ser.– Ferner kennen gelernt einen Schriftsteller aus Buenos Aires,
der Lothar übersetzt (und auch so aussieht); einen berühmten Schrift
steller aus Columbia, der Grillio heisst und dessen Name ich nie
gehört (und der nie eine Zeile von mir gelesen hat); einen einst
berühmten Cellisten Bloer, der jetzt wie es scheint eine Art grosser
Unternehmer ist – und eben im Konversationszimmer ein kleines Kon¬
zert gegeben hat.–Aber meist bin ich mit Lili oder allein, laufe
um das Promenadedeck, sitze in der Sonne (die nur wenig wärmt), lese,
beschäftige mich mit meinen Skizzen (nicht erheblich). Ich befinde