Zürich, 18.1.1925.
(nach Wien, Hotel Regina)
Liebste – von Bern aus schrieb ich Dir den letzten Brief und vor der
Vorlesung, am Tag vorher glaub ich. So wil ich denn vor allem chronolo¬
gisch berichten: Am 15. Vormittag war ich bei Holzapfel (Panideal),
dem Philosophen, der hier in mässigen Verhältnissen und mit krankem
Herzen lebt. Wir hatten uns seit 12 oder 14 Jahren nicht gesehen. Seine
Frau (des Philosophen Gomperz Tochter) nahm eine Weile am Gespräch
theil. (Ueber liberalismus, Menschen jener Zeit, – Schweizer Zustände) -
Mittag im Hotel mit Dr. Landolt, sieht aus wie ein 17jähriger Wander¬
bursch. Dann in der Halle mit Sektionschef Schüller, der hier zu einer
Konferenz ist, dem Gesandten (Dipauli) und einigen Herren von der Ge¬
sandtschaft, sowie Baron Hennet (den ich von der Hofrätin aus gut kenne).
Sehr optimistische Aeusserungen des Gesandten (typisch österreichischer
Aristokrat) von der guten Sorte, etwas zu charmant). Dann sprach ich
Frl. Bardach (?); die s.Z.Briefe von Ibsen an sie herausgegeben hat.
Ibsen nannte sie den Sonnenstrahl eines Herbstabends, uns so nannte
sie sich auch so. Ich lernte sie s.Z. (vor 12 Jahren etwa) in Garmisch
kennen – da war sie dick und hysterisch; – jetzt ist sie hysterisch und
mager; – denn sie bringt sich durch Lektionengeben mühselig fort. Auch
hat sie im Kino Klavier gespielt – aber sie verkehrt in der »société«
in Bern und der Baron Dupauli nimmt sich ihrer an. (Im Grund eine lite¬
rarische Wiener Jüdin, auf die der Provinzerotiker Ibsen hinein¬
zufallen nicht ermangelte.) Jetzt möchte sie das Buch neu herausgeben -
(ein paar Seiten im ganzen) – ein bischen unerträglich und ein bischen
rührend.–Spaziergang mit Dr. Landoldt in den alten Strassen und zum
Bärenzwinger. -
Vorlesung im Casino; Saal für 4-500 Menschen, ganz gefüllt, las:
Dreifache Warnung, Letzte Masken, Kakadu; – wirkte sehr. (Fand erhebliche
Schlampereien im Kakadu). Dann Abend der »Freien Studentenschaft«
(schauen anders aus wie unsere Hakenkreuzler und unsere Communisten -