Seelisberg, Montag, 18.8.1924.

Liebster. Obwohl wir uns gestern sprachen und morgen telefonisch spre¬
chen werden, will ich Dir doch für Deine sehr lieben Zeilen danken,
die beinahe den Eisring zum Schmelzen brachten, der sich schon um mein
Herz gelegt hatte.

Ich verstehe Dich ja, aber Du solltest mich auch verstehn und begreifen,
dass mich die Situation irritiert. Du weisst, dass ich im Vorgefühl
derselben nicht in die Schweiz wollte und dass ich nur weil Du mich
mit lieben Worten und Deinen noch lieberen Augen dazu überredet hast,
hieher gekommen bin und nun lässt Du mich hier 16 Tage allein, obwohl
Du weisst, wie unbehaglich ich mich fühle, weil L.'s da sind und weil
Deine Schwester und weil Fischer kommt. Wenn Du Allen gesagt hättest,
ich habe Sonntag oder in Gottesnamen Montag eine Verabredung, bitte mich
vorher zu besuchen, so hätten sie es sicher getan, denn es ist nur na¬
türlich, dass sie sich nach Dir richten. Dass aber Deine Liebe und
Sehnsucht aber doch nicht so stark ist, um solche Hindernisse zu be¬
seitigen, irritiert mich. Wellen von Zorn und Erbitterung gehen über
mich hin, die mich zu den tollsten und unberechenbarsten Einfällen hinreis¬
sen können, So hatte ich schon die Idee nichts mehr von mir hören zu
lassen, zu verschwinden, irgendetwas anzustellen und dann kommen wieder
Stunden, wo Du mir ganz entrückst – fremd wirst, und ich nur Leere und
Einsamkeit empfinde und keinerlei Verlangen nach Dir.

Findest Du dann das richtige Wort, ist alles wieder plötzlich gut und
ich sehne mich nur. -

Also nun bleibt es dabei, dass ich Mittwoch nach Luzern hinunterfahre
und vorläufig im Gotthard wohne. Ich habe Beau Rivage angerufen.
Sie geben nur Zimmer mit Pension a 25 Francs und ich denke mir, dass
Du keinen Pensionszwang wollen wirst. Da ich Dich ja noch telefonisch
spreche, will ich mich dann unten ganz nach Deinen Wünschen um zwei Zim¬
mer umsehn. P.'s fahren Freitag in aller Früh nach Montreux weiter
und kommen erst Mitte September frühestens nach Wien. Sie stossen dann