Clara Katharina Pollaczek an Arthur Schnitzler, 15. August 1924

Seelisberg, 15.8.1924.

Guten Morgen, Liebster. Ich schreibe Dir rasch diese Zeilenbeim Frühstück
sitzend, da ich dann gleich spazieren laufen will. Es ist schön und die
Sonne scheint. Wir sprachen uns gestern Abend. Deine Stimme klang fern
und fremd. Ich habe über Deine Vorschläge viel nachgedacht und das Re¬
sultat wird wohl sein, dass ich Montag Früh nach St. Moritz fahre.
Für mich spricht manches dagegen. Erstens dass es doch nicht das rich¬
tige Zusammensein wird. Verabredungen von allem Möglichen abhängig -
Begegnungen, die enervieren, auch wenn es ganz gleichgültige sind, ein¬
same Mahlzeiten für mich und ein grösserer Brauch. Die Reise von hier
nach St. Moritz mit Gepäck und von dort an die italienischen Seen ist
natürlich viel kostspielger als von hier aus und dann sind die Ver¬
lockungen an Ort und Stelle, Einkäufe, denen ich nicht ganz widerstehen
werde. Aber alle diese Bedenken sind hinfällig gegen den Umstand, dass
es Dir dort so behagt, dass Du Dich gesundheitlich wohl fühlst. Das ist
für mich und für die ganze Menschheit viel wichtiger und wenn Du
nicht wieder anderer Meinung geworden bist, komme ich Montag. Ich nehme
natürlich das Zimmer ohne fliessendes Wasser um 16 Francs, wenn es nur
sonst schön und bequem ist und verlasse mich in der Wahl auf Dich.
Ich war in Pontresina ohne fliessendes Wasser auch zufrieden. La Margna
hat viel für sich, nur glaube ich, dass es wegen der vielen Passanten
etwas lärmend sein wird. Kurzum, tu, was Du glaubst.

Ich möche nur Folgendes genau wissen. Wann Du nach Lugano willst und
wann Du Lili abholst und wann Du in Wien bist. Bitte sage mir das mor¬
gen am Telefon, ich erwarte Deinen Anruf am 1 Uhr. Mein Zug nach St. Mo¬
ritz geht hier schon um 7 Uhr 25 Früh ab, 11.35 in Chur,12.35 ab Chur,
St. Moritz an 15.30. Ein zweiter Zug um cca ½3 kommt erst spät Abend
nach St.M. und ist daher noch unangenehmer. Schau bitte noch selbst
nach, ich weiss, Du studierst Fahrpläne mit Leidenschaft! So, nun habe
ich glaube ich alles gesagt und schliesse mit tausend und mehr inni¬
gen Küssen. Ich habe heute Nacht viel Merkwürdiges von Dir geträumt.

Deine

Clara Katharina.