Arthur Schnitzler an Clara Katharina Pollaczek, 11. August 1924

Celerina, 11.8.1924.

(nach Selisberg)

Mein sehr Liebes; 9 Uhr morgens, – die Sonne glänzt in mein Zimmer herein;
- und mein Blick geht über Wiese und Wald zum PitsLanguardgletscher
hin. Luft und Landschaft beglückend; mein Befinden ist heute besser
als gestern – nervöser Schlaf, allzuviel Träume, Zähnepressen und dabei
offenbar nicht unerhebliche Zahnschmerzen, die heute abgeklungen sind.
(Leider habe ich meine zwei Zahnkappen nicht eingepackt, es war kein
Platz im Hängekoffer). -Vorgestern eh ich mich auf die Wanderschaft be¬
gab, schrieb ich Dir zuletzt. Es war ein köstlicher Spaziergang, 3½ Stun¬
den nach Sils Maria. Wie ich in die Hauptstrasse einbiege, Dora Michaelis;
gleich darauf begegne ich Frau (Siegfried) Strakosch, – die in »Edelweiss«
wohnen; – mit Dr.M., »Barbleu«; Dora mit den drei Sohnen. Bank in
der Sonne, köstliche Muskateller Trauber. Bald erscheint Heini mit einem
photographischen Apparat – Geburtstagsgeschenk. Hin und her.–Der unwahr¬
scheinlich blaue Silversee, in der Ferne nebelnd das Hotel von Maloja.
Allerlei Begrüssungen (z.B. die vorjährigen Hammerschläge). -Mittag-
essen in Barbleu mit »Asti spumante«! Die Obdachlosigkeit nach Tisch
tat mir nicht gut; Dusel in der Halle: – dann in die Sonne.–Frau Dern¬
burg erscheint, die Dame, bei der Heini in Berlin wohnen wird (nicht des¬
halb ist sie nach Sils Maria gereist); es wird allerlei besprochen. Um
½6 im Postauto mit Heini nach St. Moritz; von dort zu Fuss nach Celerina;
- Heini weiter nach Zuoz.–Ich nehme die Traumnovelle vor; und wie im¬
mer gehe ich erst in den Speisesaal, wenn alle andern fort sind,– setze
mich dann noch in das Schreibzimmer, wo ich ungestört lese.

Am gestrigen Vormittag Spaziergang St. Moritz; mässige Manikür (mit Joczi
nicht in einem Atem zu nennen). -Zurück; – »Weiher« vorgenommen. Nach 12
kommen Michaelis an, auf der Durchreise nachhause: – sie speisen bei mir;
zum Kaffee kommen die Kinder mit O. aus Zuoz.–M.'s reisen ab; ein auf
Lili bezügliches Erziehungsgespräch ( – Ersatz für Wucki; -Ausbildung
in Sprachen; – Staatsprüfung für Sprache – etc.), wird fortgesetzt. Um
6 Uhr Abreise der Zuozer. Ich promenieren Samaden und zurück; – befinde