Clara Katharina Pollaczek an Arthur Schnitzler, 1. Januar 1927

An A.S. nach Berlin.

Wien, 1.1.1927. ½10 Uhr Früh.

Mein Liebes,

ich liege natürlich noch im Bett und will das neue Jahr
und den neuen Tag damit beginnen Dir zu schreiben. Mir gegenüber steht
ein märchenhafter Fliederstock und ich sage Dir innigen gerührten Dank,
dass Du auch daran gedacht hast. Ich freue mich sehr.

Nun zum gestrigen Abend. Dein kleines Stück war sehr reizend
und natürlich die einzige Leistung des Abends, die Niveau hatte, aber die
weibliche Rolle war mit der Servaes elend besetzt. Dieses grosse, starke
Frauenzimmer war viel grösser als das Fenster, an dem sie stand. Ihre
groben schlechten Bewegungen, ihre fettige Affektation passten schlecht
in diese wie hinter einem Schleier spielende Szene. Horch hätte mich
für diesen Abend engagieren sollen! Molnars Stück war unheimlich blöd,
nur durch das angenehme Spiel Hermann Thiemigs und das noch angenehmere
von den Beinen der Lili Darvas erträglich. Aber der Erfolg des Abends -
oh Publikum! – war die Tanzeinlage aus »Viktoria« mit Darvas und Hans
Thiemig und der Auftreten der drei Thiemigs, Vater, Hugo und zwei Söhnen
als Akrobaten in grellroten Trikots. Man brüllte vor Begeisterung. Das
Theater war ausverkauft. Gisela B. begleitete mich dann bis auf den Ring
zu einer Elektrischen, da die Nebenlinien, z.B. die Zweier, nicht mehr gin¬
gen und um ¾ 2 war ich im Bett. Heute bin ich noch ganz programmlos.
Gestern Abend vor dem Theater war Otto bei mir, um mir meinen Roman zu¬
rückzubringen. Er findet ihn ausgezeichnet, machte aber für den Schluss
genau dieselben Einwendungen wie Du. Er glaubt auch, dass es mit der Um¬
stellung des Epilogs behoben sein wird. Ich bin neugierig, was Du mit
W. gesprochen hast. Auch die Unterredung Schröder interessiert mich sehr.
Was hast Du eigentlich wegen des Films "Spiel im Morgengrauen" bespro-
chen? Ich bin neugierig, ob Barnowsky sich noch meldet. Ob Du Dich nicht
doch bei ihm irgendwie bemerkbar hättest machen sollen? Er wird es si¬