Arthur Schnitzler an Clara Katharina Pollaczek, 26. Dezember 1926

26.12.1926. Berlin.

Liebste, ich wollte Dir heute Morgens telefonieren – habe bis
nach 9 verschlafen und man sagt mir, dass die Verbindung heute viel¬
leicht stundenlang auf sich könnte warten lassen- so wähl ich mir
einen andern Morgen, an dem ich vor ½8 aufwache. Es stellt sich
schon wieder heraus, dass ich ausserhalb Wiens um 2 Stunden länger
schlafe als daheim, wo ich die Unruhe des Hauses in meine Träume
hinein spüre. Eben kam auch Dein sehr lieber Brief mit dem »Mädchen
für Alles«, das ich heute samt der »Anastasia« Dora (der ich schon
davon gesprochen und die neulich Deine »Mimi" in einem alten
Rundschauband gelesen) bringe. Gestern war ich vor Tisch dort -
ass zu Mittag mit Heini allein im Hotel. Am Nachmittag besorgte
ich die letzte Diagrammkorrektur; Heini und Paul Marx holten mich
ab – ins Schillertheater; mit Paul M.; Heini spielte in den
Schwestern (ein wundervolles Tschechowstück) eine kleine Rolle
vortrefflich; – die Vorstellung auf ungewöhnlichem Niveau, wie sie
heute in keinem Wiener Theater annähernd zu erreichen wäre; in man¬
chen Theilen an die russische Aufführung gemahnend; besonders die
drei Schwestern Lossen, Höflich und Lucy Mannheim. Die Herren nicht
auf gleicher Höhe, aber zum Theil sehr gut. Die Inszenierung, die
Regie (Fehling) glänzend. Nachher (es war erst ½12 aus) beim
Austernmeyer genachtmahlt mit Heini, Paul M., Lucy und Fehling.-

Für heute haben mir Fischers abgesagt, weil ein Enkel oder eine
Enkelin sich verfruht in diese problematische Welt der Oedipus¬
komplexe und Angstträume zu sehnen scheint. Herr Fleck hat sich
schon mit Heini in Verbindung gesetzt, ihn für eine »herrliche
neue Rolle in einem Film« (die wahrscheinlich Herr Fleck selbst
noch nicht kennt) zu gewinnen gesucht und kommt noch heute zu
mir, die Aenderungen, die er am Liebelei-Filz vorgenommen, vorzu¬
legen. Auch von Elisabeth B. (deren Freundin ich gestern telefonisch
sprach) erwarte ich heute Nachricht. Graues Winterwetter; in meinem