Clara Katharina Pollaczek an Arthur Schnitzler, 17. Juni 1925

Wien, 17.6.1925. Hotel Regina.

(nach Baden-Baden)

Mein liebes Kind, verzeih, dass ich mit der Schreibmaschine schrei¬
be, aber Tinte und Feder in meinem Zimmer sind in unbrauchbaren
Zustand, und ein Bleistiftbrief würde bei der Verfassung meiner
Nerven unleserlich ausfallen. Ich hoffe dieser hier wird trotzdem
nicht unpersönlich wirken. Je mehr ich mir unsere letzten uner¬
quicklichen Gespräche und ihre Veranlassung durch Kopf und Herz
gehen lassen, desto mehr fühle ich, wie sehr mich Dein Verhalten in
diesen und ähnlichen Fällen verletzen muss und immer wieder ver¬
letzen wird, insolange Du und unsere Beziehung mir eben etwas be¬
deuten.

Von Deiner Frau ist es ein takt- und geschmackloser Versuch, den
sie ganz bestimmt unterlassen würde, wenn sie irgend ein anderes
Interesse hätte, wenn sie sich jemand andern zugehörig fühlen würde,
umso mehr als ihr dieser eine so dringliche Einladung
an Dich ganz gewiss verargen würde. Dass niemand da ist, ist der
Grund, – aber vielleicht auch die Entschuldigung ihres Vorgehens,
dessen Zweck mich auch bei einer abgeklärten Freundschaft ihrer¬
seits, nicht zu täuschen vermag.

Deine Einstellung aber ist mir vollkommen unerklärlich, denn sie
ist eine ungeheure Schwäche nach der einen Seite, ein Mangel je¬
der Rücksichtnahme nach der andern.

Es erscheint mir als etwas so selbstverständliches, dass man für
einen Menschen, den man liebt, gerne alles unterlässt, was ihn ver¬
letzt oder kränkt und glücklich ist ihm eine Freude zu bereiten, -
dass ich Deiner Auffassung hier völlig verständnislos gegenüber-
stehe.

Ich glaube, ich würde gerne täglich einen steileren Weg als den zu
jener Villa hinaufsteigen, wenn ich Dir damit eine Kränkung erspa¬
ren würde, Dir aber ist eine kleine Unbequemlichkeit, ein missbilli¬