Arthur Schnitzler an Clara Katharina Pollaczek, 4. Juli 1924

Salzburg, 4.7.1924.

(nach Wien)

Liebste, eben wie ich die Karte an Dich hinuntertrage, finde ich Dei¬
nen express-rec. Brief in meinem Schlüsselfach beim Portier, – »stürze«
in mein Zimmer zurück, lese ihn (trotz der »übrigens«, deren Mehrzahl ich
nicht bemerkt hätte) mit Vergnügen und Freude und sende meiner Karte
noch einige sehr innige Grüsse und Küsse nach. Die »Lettres a l'Etrangere[«]
kannst Du Dir natürlich so lange behalten als Du willst. Ich las das
Buch vor 20 Jahre circa – was ich unterstrichen habe weiss ich nicht
mehr – nicht einmal, dass und ob ich unterstrichen – da das im allge¬
meinen nicht meine Gewohnheit ist. Mit Deiner Vermutung Frau von H. sei
des wunderbaren Mannes nicht wert gewesen, der sie gelebt ( – oder viel¬
mehr das was er als Idol vor sich hingestellt und als Frau v.H. be-
zeichnet hat) – hättest Du gewiss Recht, – wenn der Begriff des »Wert-¬
seins" im Erotischen nicht seltsamen Umbildungen unterworfen wäre.
Dass sie mit einem liebenswürdigen Kondolenzbesucher wenige Tage nach
des Gatten Tod so ihm oder seinem Angedenken die Treue brach, habe ich
nie sehr nett gefunden: – aber vielleicht hätte sie nur zu beweisen
verstanden, dass gerade das die richtige Art war ihm »im höheren Sinn«
die Treue zu wahren. -

In jedem Fall ist es ein herrliches Buch. Und wenn Du Briefe gern liest,-
ich hab noch viel schönere für Dich in meiner Bibliothek.

Ich muss hinunter. Die Leute erwarten mich. Wie freu ich mich auf Dich,
Liebste.

Dein

A.